Sind wir hier beim Schwanzvergleich?

Immer wieder dasselbe Szenario:

Ein Schneiderlein fragt in einer Gruppe nach Empfehlungen für eine Nähmaschine oder eine Overlock, und schon gehts los:

 

(Namen sind frei erfunden; naja, nicht alle - alle bis auf einen ;) )

 

  • Katharina schreibt, sie hat eine W6 und ist damit sehr zufrieden. Außerdem haben die 10 Jahre Garantie auf ihre Maschinen.

 

  • Sabine schreibt, sie hat eine Brother, die ist perfekt.

 

  • Claudia rät von W6 ab, da sie erstens gegenüber höherpreisigen Maschinen sehr schlecht abschneiden, und W6 zwar 10 Jahre Garantie vorgibt, aber fast alle Teile der Maschine unter Verbrauchsteile fallen, die von der Garantie ausgeschlossen sind.

 

  • Silvia schreibt, sie empfiehlt die Janome, weil sie hat selbst eine.

 

  • Corinna macht den Vorschlag, zum Händler zu gehen, und mehrere Maschinen dort Probe zu nähen.

 

  • Martha attackiert Claudia, weil sie hat auch eine W6, und die ist so super duper, wie kann man bloß etwas schlechtes über W6 schreiben? Außerdem ist sie in einer Gruppe, in der es um diese Nähmaschinenmarke geht, und dort sind auch so gut wie alle zufrieden.

 

  • Anna hat eine Babylock. Und davor ein mit ein paar anderen Maschinen genäht, und würde nun nie wieder etwas anderes kaufen.

 

  • Doris rät von Singer und allen anderen ab, die man beim Discounter kaufen kann. Denn damit hat man nur mit viel Glück eine Maschine, die halbwegs brauchbar ist. Aber meistens eine, mit der man sich ständig ärgern muss.

 

  • Claudia schreibt noch einen Kommentar, und zwar, dass sie Doris zustimmt und zu gebrauchten, älteren Maschinen rät, falls das Budget knapp ist.

 

  • Ricarda hat eine Singer und verteidigt diese, denn sie näht viel und ist immer noch zufrieden mit ihr. Außerdem ist sie in einer Gruppe, da sind auch die anderen sehr zufrieden mit der Maschine. 

 

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Das war nun eine gesittete Version davon, was man in den Facebookgruppen meist als Antwort bekommt.

 

Meiner Meinung nach sind die Kommentare unter Postings, in denen nach Nähmaschinen-Empfehlungen gefragt wird, immer mit kritischen Augen zu betrachten.

 

Sehr oft wird ein Nähmaschienmodell mit Zähnen und Klauen verteidigt, weil es darf nichts besseres geben. Zumindest nicht um den Preis. Und mehr für eine Nähmaschine auszugeben, ist unnötiger Luxus. Aber nur in den Augen jener, die noch nie mit etwas höherwertigem genäht haben.

 

Schon seit Jahren verfolge ich die Beiträge in den Schneiderleingruppen. Und ab und zu habe ich es gewagt und gefragt, ob die Leute, die Billigstmaschinen empfehlen, auch schon mit etwas anderem genäht haben. Und die Antwort war so gut wie immer nein.

Warum zur Hölle empfehlt ihr dann die Maschine, mit der ihr näht, obwohl ihr nicht mal eine Ahnung davon habt, wie es sich mit anderen näht?

 

Es hat schon einen Grund, weshalb bei geringem Budget ältere, gebrauchte Maschinen empfohlen werden, und weshalb neue tolle Maschinen teuer sind. Qualität kostet nun mal.

Große Stichauswahl und umfangreiches Zubehör kostet ebenfalls. 

Das heißt, wenn man eine Nähmaschine um 250,- neu bekommt, diese viele Stiche zur Auswahl hat und auch noch einiges an Zübehör enthält, muss der Kern der Maschine aus sehr sehr billigem Material sein, und am Fließband von Billigstarbeitern zusammengebaut worden sein. Mehr zu solch Billigmaschinen habe ich an anderer Stelle schon geschrieben.

 

 

Ich selbst habe die Erfahrung gemacht, dass man sich schwer an eine andere Art der Nähmaschine gewöhnen kann, nachdem man jahrelang mit ein und derselben genäht hat. 

 

Bei mir ist es so, dass ich jahrelang mit einer Gritzner Tipmatic genäht habe. Und dann kurz auf eine ältere Bernina umgestiegen bin. Die Gritzner ist eine rein mechanische Maschine, die Bernina eine computergesteuerte.

 

Die Pedale beider Maschinen reagieren sehr feinfühlig, aber bei der Bernina ist viel mehr Leerraum, an dem ich mich nicht so wirklich gewöhnen kann.

 

Die Bernina hat einen Kniehebel, mit dem man das Füßchen heben kann; Der ist total praktisch.

Die Gritzner hat einen echten Obertransport - dual feet transport - der mir schon oft das Nähen erleichtert hat.

 

Wenn man viel Leder o.ä. verarbeiten will, sollte man sogar zu noch älteren Maschinen, zum Beispiel zu gewissen Pfaff-Maschinen greifen, da sie besser dafür ausgelegt sind.

 

Für mich sind Zierstiche etwas, das ich gefühlterweise nur einmal in hundert Jahren brauche. Aber wenn ich sie brauche, will ich sie haben. Deshalb habe ich eine andere ältere Bernina behalten, weil sie genau das hat. 

 

Meine Lieblingsmaschine ist und bleibt aber die Gritzner. Die Gritzner und ich sind ein eingespieltes Team, da kann schwer eine völlig andere Maschine meinen Liebling ersetzen. Auch wenn bei der Bernina sogar die Fadenspannung für jeden Stoff und Stich bei 4 perfekt war und ich bei der Gritzner ständig anpassen muss.

 

Wer aber Zierstiche, automatischen Nadelstopp oder einen Kniehebel möchte, der wird mit der Gritzner nicht so glücklich wie ich werden.

Deshalb weiß ich auch, dass es nichts bringt, sie mit Zähnen und Klauen als DIE beste Nähmaschine zu verteidigen.

 

 

Warum fällt es aber anderen so schwer, über ihren Nähmaschinen-Tellerrand hinaus zu denken?

 

Ich vermute folgendes Problem dahinter:

Sandra (natürlich auch erfunden) will immer das beste haben.

Solange Sandra keinen Vergleich mit vielen anderen Maschinen hat, wird sie auch lange der Meinung sein, dass ihre eigene Maschine die beste ist.

Und wenn jemand kritisiert, dass diese eben nicht die beste ist, dann macht sie sich Sorgen, dass sie sich eingestehen muss, dass sie Katzengold für echtes Gold gehalten hat. Ergo in einer Scheinwelt lebt, aus der sie nicht geweckt werden will. Denn das wäre unangenehm. Sie müsste sich sonst fragen, ob sie jahrelang mit einer Maschine genäht hat, die mehr rumzickt als notwendig ist. Dass es doch nicht nur an der falschen Nadel und Garn lag, wenn diese Stiche ausgelassen hat. 

 

Warum waren dann so viele andere Leute in der Gruppe zu ihrer Nähmaschinenmarke von der Maschine so überzeugt?
Das liegt vermutlich daran, dass sich in solchen Gruppen nur die Fans der Marke halten. 

Auch ich war lange in einer Gruppe zur Gritzner Overlock 788. Mittlerweile habe ich aber eine andere Maschine, da ich etwas besseres gefunden habe. Bald nach dem Umstieg habe diese Gruppe verlassen, da ich mit der 788er abgeschlossen hatte.

 

Also hört auf, zu behaupten, ihr hättet die beste Maschine!

Wer auf der höchsten Klasse der Maschinen näht, wird sicher nicht mehr auf etwas minderwertigeres umsteigen.

Aber auch unter den hochwertigen Maschinen gibt es nicht nur eine tolle.

 

 

Woran erkennt man nun, ob jemand eine ernstzunehmende Empfehlung gegeben hat?

  • er erkundigt sich nach deinen Vorstellungen oder geht darauf ein
  • er argumentiert sachlich
  • er berücksichtigt dein Budget
  • er kann dir die Unterschiede zu anderen Maschinen schildern