Meine Meinung zum aktuellen Nähtrend - Achtung Schlipse fern halten!

Achtung Schlipse fern halten! Sonst könnte sich schnell jemand darauf getreten fühlen 

Noch weiß ich nicht, ob ich jetzt über die häufigsten Beiträge in Standard-Nähgruppen meckern will, oder über den Nähtrend allgemein.
Ich behaupte jetzt mal ganz einfach, dass 75% der Beiträge in normalen Nähgruppen Baby- und Kinderkleidung sind. 20% sind Jersey-Erwachsenenkleidung, und leider nur 5% anderes. Dazu zählt für mich anspruchsvolles, aufwändiges. So Dinge wie Erwachsenenkleidung aus Webware oder Handtaschen.

Ein tolles Nähstück punktet meiner Meinung nach durch gute Passform, gut gewählter Stoffart und Farbe/Muster und guter Verarbeitung.

Wenn ich mein Buch „die große Burda Nähschule“ aufschlage, finde ich da Unmengen an Erklärungen für Verarbeitungstechniken. So Sachen wie Paspeltaschen, Polohemd-Knopfleiste oder Ärmelschlitze für Hemdsärmel mit Manschetten. 
Ehrlich gesagt muss ich mich bei den Anleitungen in dem Buch sehr konzentrieren, um sie zu verstehen, auch wenn ich schon einige Jahre Näherfahrung auf meinem Buckel habe. 
Manches probiere ich zuerst auf einem Reststück aus, damit beim „richtigen“ dann nichts schief geht.

Ich vermute unsere Ur-Großmütter haben vieles davon noch aus dem FF beherrscht.

Was ist nun der allgemeine Trend?
Die meisten nähen Kinderkeidung und Sachen, die fast ausschließlich aus Jersey u. ä. bestehen. 
Die sogenannte Maschenware erfordert keine perfekte Passform und passt meist trotzdem. Sprich zu enges dehnt sich genügend, zu weites fällt nicht wirklich auf, weil dann nennen wir es einfach Schlabberlook.
Der zweite „Trick“ mangelnde Passform zu überdecken sind unregelmäßige und bunte Muster. Sie lenken das Auge ab von Falten und von zuviel Stoff.
Bei Kinderkleidung ist die Passform auch nicht so wichtig wie bei Erwachsenen, die Kleinen wachsen schließlich sowieso schnell raus.

Ob etwas Selbstgenähtes gefällt oder nicht, hängt von sehr vielen Dingen ab. Es muss demjenigen von der Farbe und Muster gefallen. Es muss der Schnitt gefallen. Es muss passen. Es muss den gewünschten Zweck erfüllen. Es muss den Ansprüchen genügen.
Vieles davon fällt unter persönliches Empfinden. Ich persönlich würde nie ein Shirt mit regenbogenfarbenen Mustern mit einer orange-roten Haube und grün-orange karierten Hose kombinieren. Trotzdem kann das jemand anderem gefallen.

Woraus bestehen nun die meisten Nähstücke? Ich sage mal frech: aus ein paar Overlock-Nähten und Bündchen.
Können meiner Meinung nach Jerseystücke trotzdem herausstechen? Ja. Zum Beispiel, wenn man sieht, dass Paspeln eingearbeitet worden sind, Kapuzen sauber verarbeitet wurden, oder die Taschen ordentlich angebracht sind.

Diese „Jerseymamas fortgeschrittenen Stadiums“ möchte ich ermuntern, sich auch mal an Webware zu wagen.

Webware hat auch so seine Vorteile. 
Oft lässt sie sich gut bügeln. Sprich nach dem Bügeln hat man eine Kante, die man zum Nähen kaum mehr feststecken muss.
Nicht-Overlock-Nähte sind meist nicht solch eine Herausforderung, als Jersey mit einer normalen Nähmaschine zu bändigen.
Und das Auftrennen geht meist auch viel leichter.

Und wer dann endgültig Blut geleckt hat, dem rate ich es, auch mal selbst mit dem Schnitt Zeichnen zu probieren. Meine Empfehlung ist das Buch vom Hofenbitzer.
Ein anderes Schneiderlein, für das das Schnittmuster selbst Zeichnen komplettes Neuland ist, meinte begeistert zu mir: endlich muss man nicht mehr drei verschiedene Fertig-Schnittmuster kombinieren + dann an die jeweilige Figur anpassen, um das gewünschte Ergebnis zu erlangen. Weiters muss man auch nicht zig A4-Blätter drucken, kleben und ausschneiden.
Ich vermute dass das selbst Zeichnen zwar nicht schneller geht als fertige Schnittmuster abzuwandeln, aber es sollte auch nicht länger dauern.

Keine Ahnung, wie ich nun den Bogen zum nächsten Thema schlage. Denkt euch einfach selbst den passenden Übergang aus 

Nähen entschleunigt. 
Entschleunigung ist ein super Trendwort. Ich mag keine Trends. Aber das Wort passt hier einfach.
Wenn ich etwas ordentlich nähen möchte, muss ich mir dafür Zeit nehmen. An entscheidenden Punkten inne halten, nachdenken wie es zu lösen ist.
Auch wenn es sich kitschig anhört, es erfüllt mich mit Freude, an der Nähmaschine zu sitzen und tolle Dinge für mich oder meinen Freund zu erschaffen.
Unter zeitlichem Druck kann ich nur nähen, was ich bereits schon oft genäht habe. Alles andere wird nichts, oder nicht zufriedenstellend.

Ein wenig nachvollziehen kann ich, dass andere am liebsten einfache Dinge machen, die schnell erledigt sind. Wenn über die Gründe dahinter nachdenke, fallen mir so böse Begriffe ein, wie Faulheit, Bequemlichkeit, kurze Aufmerksamkeitsspannen erfordern schnelle Erfolge etc. Deshalb lass ich das lieber 

Ich denke ich hab nun genug gemeckert. Den Beitrag über die immer wiederkehrenden Fragen in den Gruppen, der aber nicht nur schimpfend, sondern erheiternd sein soll, verfasse ich ein anderes Mal. Ob ihr wollt oder nicht 

Und wer sich nach all dem Geschreibsel auch noch für meinen Werdegang interessiert, dem möchte ich kurz schildern wie bei mir alles begann:
2010 habe ich mit Hilfe meiner Mama angefangen zu nähen. Und zwar gleich mal Webware und ein aufwändiges Halloweenkostüm, doch nur wer hohe Ziele hat, der ist auch bereit viel zu tun und zu lernen.
Im Nachhinein kann ich sagen, dass die Passform des Kostüms an den Schultern echt nicht optimal ist, aber ich habe es sogar geschafft einen Reißverschluss und Ärmel einzunähen.
Im Nachhinein betrachtet verwundert es mich, dass ich damals so großen Respekt vor Jersey hatte. Mir fehlte aber auch das Wissen um den geeigneten Stich, und bei der Overlock hatte ich Angst vor dem Messer. Weil das Messer kann ja auch wo rein schneiden, wo ich es gar nicht beabsichtigt habe.

Es folgten dann ein paar Kleider, ebenfalls aus Webware, und die ersten Jerseystücke. Das meiste habe ich in der Zeit mit Einzelschnitten von Burda gemacht. Diese sind halbwegs gut beschrieben und mit hilfreichen Zeichnungen versehen.
Von dem einen Schnittmuster habe ich gelernt, wie man verstürzt, vom anderen, wie das mit dem Volant funktioniert.
Nach und nach habe ich immer öfters versucht, meine Schnitte selbst zu basteln. Schließlich bin ich geizig, war nicht bereit, ständig viel Geld für Schnittmuster, die dann doch nicht richtig passen, auszugeben. Gratis Onlineschnitte haben meinen Ansprüchen auch nicht entsprochen.
Im Laufe der Zeit habe ich natürlich viel Lehrgeld bezahlt. Den falschen Stoff ausgwählt, Dinge genäht, die ich dann doch nie angezogen habe, die Passform ließ oft zu wünschen übrig.

Doch es hat mich auf meinen Weg gebracht. Kein Stoff ist für mich zu schwierig, Herausforderungen sind immer Willkommen.
Natürlich wäre es schön, wenn alles immer sofort klappen würde. Doch das tut es bis heute nicht. Aber die Fehlschläge werden immer weniger. Das wird es auch bei euch, wenn ihr dem ganzen eine Chance gebt und bereit seid, Fehlern einzugestehen und daraus zu lernen.

 

Fortsetzung: 

Schlipstreter Volume 2

Nachdem ich mich gestern so lange und ausgiebig darüber ausgelassen habe, dass ich den aktuellen Nähtrend nicht nachvollziehen kann, möchte ich heute gleich noch etwas dran hängen.

Und zwar dass ich vermute, dass es unter den Schneiderleins zwei verschiedene Typen gibt:

Die einen sind jene, die nur selten eine detaillierte Anleitung benötigen. Und wenn sie etwas umsetzen, wofür sie eine Anleitung haben, machen sie meist schlussendlich dann doch ihr eigenes Ding und wandeln diese gleich mal ab.

Die anderen sind jene, die etwas nur in Angriff nehmen, wenn es ihnen schon Punkt für Punkt vorgekaut wurde.

Der Einfachheit halber nenne ich Typ Anleitunsabwandler Typ 1 und Anleitungsanklammerer Typ 2.

Typ 1 möchte einen Mantel nähen. Sofern er mit Schnittmuster selbst zeichnen nicht vertraut ist sucht er aktiv nach einem geeigneten Schnittmuster. Entweder versucht er, auf der Homepage von Burda, Simplicity und Co ein geeignetes Schnittmuster zu finden, oder er wälzt die bereits vorhandenen Schnittmusterhefte so lange, bis er das passende gefunden hat. Womöglich gibt er in themenbezogenen Foren oder Facebook-Gruppen den Suchbegriff „Mantel Schnittmuster“ ein und schaut, womit andere schon gearbeitet haben.
Wahrscheinlich endet es dann so, dass er von Schnittmuster 1 den Oberteil nimmt, von Schnittmuster 2 den Rockteil, und von einem dritten den Kragen.
Wenn man etwas zum ersten Mal näht, tauchen üblicherweise Fragen auf. Diesmal ist es als Beispiel der Kragen. Typ 1 verzweifelt aber nicht sofort, sondern sucht auf Youtube oder Nähbüchern nach Erklärungen.

Typ 2 möchte ebenfalls einen Mantel nähen. Sobald der Beschluss fest steht wird in mindestens eine Facebook-Gruppe gepostet „Ich suche ein Schnittmuster für einen Mantel. Wer kann mir helfen?“
Es folgen zig Empfehlungen, eine davon wird angenommen. Auch hier tauchen dann Fragen bei der Verarbeitung auf, denn auch Typ 2 hat in dem Fall noch nicht alles schon mal genäht. 
Typ 2 macht es sich einfach, nimmt das Handy zur Hand, knipst ein Bild von der betreffenden Stelle in der Anleitung und postet es wiederum in eine Facebook-Gruppe, um dort auf Hilfe zu warten.

Natürlich sind die Grenzen zwischen Typ 1 und 2 fließend. Typ 2 kann sich mit etwas Engagement zu Typ 1 entwickeln, Typ 1 hat manchmal faule Tage und wendet Methoden von Typ 2 an.

Und warum schreibe ich nun das ganze? Das weiß ich selbst nicht so wirklich.
Schneiderei ist nicht das einzige Thema, bei denen mir solch verschiedene Vorgehensweisen aufgefallen sind. Vermutlich ist die Menschheit generell zwiespältig was dieses Thema anbelangt.
Ich kann auch nicht sagen, welcher Typ die bessere Methode hat. Es ist keine eine Schande, nach Hilfe zu fragen.
Ohne die häufigen Fragen von Typ 2 wüsste Typ 1 nicht, dass Bedarf an Tutorials besteht.
Auch ich selbst beantworte öfters die simpelsten Fragen, einfach weil ich gerade Zeit und Bock darauf habe.

Doch oft muss ich bei vielen Fragen, die ich in Gruppen so lese, kurz schlucken, und weiterscrollen. Und wenn ich einen Tag habe, an dem ich am liebsten schreiben würde „Jetzt sei nicht sooo bequem und denk mal selbst nach, wie die Teile eines Ringkissens aufgebaut sind. Dann wirst du drauf kommen dass du einfach nur zwei Quadrate nehmen musst, dafür wirst du aber nun wirklich kein Schnittmuster benötigen“, ja an solchen Tagen muss ich mir auch mal kräftig auf die Zunge beißen um niemanden zu beleidigen.

Mein Bruder sagte einmal zu mir, dass ich eine gute Lehrerin wäre. Keine Ahnung, wie er auf diese Idee kam. Aber wenn ich eine Lehrerin wäre, wäre ich bemüht, den Kindern beizubringen, sich selbst zu helfen, als alles immer Punkt für Punkt vor zu kauen. Vermutlich tue ich mir deshalb auch mit jenen Typen so schwer, die Typ 2 entsprechen.

Doch nicht nur auf Facebook, auch im real Life begegnet man diesen Typen. Jene Typen, die dich um ein Rezept für Bananenschnitten fragen, obwohl das Kochbuch neben ihnen liegt.

Ich behaupte einfach mal, dass es kein Phänomen ist, das mit dem Internetzeitalter angefangen hat. Vermutlich wurde es dadurch aber verschlimmert. 
Nun meine Frage: wie war das früher? Als es diese riesige Netzwerk noch nicht gab? Gab es auch damals viele von Typ 2, die Typ 1 mit ihren Fragen genervt haben?

Mein Eindruck ist dass dieser Text jetzt nicht so gut wie der letzte geworden ist, aber ich halte ihn euch trotzdem vor die Nase. Wer ihn bis hier gelesen hat ist eh selbst schuld.